von Dominik Hochwarth | Content manager im VDI Verlag | Ingenieur.de
Jedes Jahr brechen etwa 100.000 Eisberge in der Arktis oder Antarktis ab. Die Berge samt dem darin enthaltenen Süßwasser würden einige Unternehmen gerne in die trockenen Regionen auf der Welt schippern, um dort den Durst zu stillen.
In der renommierten Wissenschaftszeitschrift nature.com wurde vor einigen Tagen ein Aufsatz mit einer bizarren Idee veröffentlicht: Es geht um den Transport von Eisbergen aus der Antarktis in dürregeplagte Regionen Afrikas, um dort den Durst nach Wasser zu stillen. Von vielen aus der Wissenschaft wird dieser Plan abgelehnt, andere sehen darin jedoch eine große Chance. Was ist es nun? Wahnsinnsplan oder reiner Wahnsinn? Wir haben etwas genauer hingeschaut und festgestellt, dass diese Idee gar nicht so neu ist. Auch ein Berliner Start-up lebt den Traum, die Dürre mit Eisbergen zu bekämpfen.
Trinkwasser aus Eisbergen – eine Lösung gegen den Durst der Welt?
Für die Reichen und Schönen dieser Welt wird längst Gletscherwasser in Flaschen gefüllt und sündhaft teuer an diese verkauft. So zahlt man für eine Flasche Svalbarði mit 750 Milliliter Inhalt online rund 100 Euro. Momentan ist das Wasser, das etwa 1.000 Kilometer vom Nordpol entfernt aus einem Eisberg geschmolzen wurde, jedoch ausverkauft. Dieser Preis ist für die meisten Menschen auf der Welt unerschwinglich, in vielen Regionen gibt es nicht einmal genügend Trinkwasser.
Das brachte den Rechts-, Kultur- und Geisteswissenschaftler Matthew Birkhold zu der Frage, ob man den Durst der Welt nicht mit dem in den Polen und Gletschern eingeschlossenen Süßwasser stillen könne. Immerhin sind etwa zwei Drittel unseres Trinkwassers in Eis gebunden. Auf der anderen Seite haben etwa 2,2 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicherem Wasser. Täglich sterben über 9.000 Menschen an Durst, davon 1.000 Kinder. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich dieser Wert bis 2050 verdreifachen wird.
Bereits 2010 hatte das deutsche Unternehmen Polewater die gleiche Idee und arbeitet seitdem daran, diese in die Tat umzusetzen. Und auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Südafrika träumt man davon, Eisberge als Trinkwasserreservoir zu nutzen, anstatt aufwendig Meerwasser zu entsalzen. Bislang ist es weitestgehend bei Träumen geblieben, zumindest was Gletscherwasser in großen Dimensionen angeht. In kleineren Mengen wurde bereits von James Cook im 18. Jahrhundert Eis von Eisbergen an Bord genommen, um seine Wasservorräte aufzufüllen.
Wie sieht es mit der Wasserverfügbarkeit aus?
Wie genau das Wasser auf die Erde kam, ist noch nicht abschließend geklärt, doch vieles spricht dafür, dass dies durch Meteoriteneinschläge vor Milliarden von Jahren geschehen sein könnte. Heute sind große Teile der Erde mit Wasser bedeckt, allerdings handelt es sich zu über 97 Prozent um Salzwasser. Und von den rund 3 Prozent Süßwasser, sind zwei Drittel als Eis gebunden, stehen somit nicht frei zur Verfügung.
Nun müssen sich diesen Rest die Menschen, Pflanzen und Tiere teilen. Allerdings werden wir Menschen immer mehr, es bleibt somit für jeden einzelnen immer weniger Süßwasser übrig. Zumal sich der pro-Kopf-Wasserverbrauch in den wasserreichen Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten vervielfacht hat. Und da Wasser einen Kreislauf aus Verdunstung, Regen und Versickerung bildet, bleibt es immer gleich viel. Durch die Nutzung der Eisberge könnte mehr flüssiges Süßwasser in den Wasserkreislauf gebracht werden, so die Idee dahinter.
Sollen Eisberge vom ewigen Eis abgetrennt werden?
Nein, die alle bisher bekannten Pläne gehen davon aus, dass nur die Eisberge verwendet werden, die sich sowieso vom Eispanzer an den Polen gelöst haben – der Fachmann nennt diesen Vorgang „Kalben von Eisbergen“. Das ist prinzipiell ein natürlicher Vorgang und muss nicht zwingend mit dem Klimawandel zu tun haben. Er wird jedoch durch die Erderwärmung zumindest begünstigt, so dass sich künftig noch häufiger Eisberge abtrennen werden als bisher üblich. Nach Angaben von UN-Experten sollen es derzeit jährlich rund 100.000 Eisberge in Arktis und Antarktis sein.
Diese Eisberge werden durch Strömungen oft in wärmere Gewässer getrieben, wo sie langsam schmelzen und sich mit dem Meerwasser vereinen. Als Trinkwasser sind sie damit verloren. Nun haben diese Eisberge aber auch keine Besitzer, so dass sich jeder diese herrenlosen Eisschollen schnappen könnte, um sie in den trockenen Gegenden dieser Welt als Trinkwasser zu verkaufen. Es braucht nur die nötige Technik, die riesigen Eisklumpen dorthin zu bringen, wo sie hinsollen.
Wie lassen sich Eisberge „transportieren“?
Bei dieser Frage lohnt sich ein Blick zu Polewater. Das Start-up hat die Technik bereits einsatzbereit ausgearbeitet, noch fehlt es jedoch an Geld, um mit dem Transport von Eisbergen in wärmere Gefilde zu beginnen. Alles beginnt mit der Suche nach geeigneten Eisbergen – diese sollten nicht zu groß aber auch nicht zu klein sein, damit sich der Transport lohnt und das Eis nicht bereits komplett geschmolzen ist, ehe der Berg am Zielort angekommen ist.
Das Start-up scannt die potenziellen Kandidaten mit Hilfe von Satelliten. Das Unternehmen konzentriert sich dabei auf Eisberge außerhalb jeglicher antarktischen Schutzzonen, weit weg vom antarktischen Festland, am 60. Breitengrad. Dabei können auch Eisberge identifiziert werden, die noch gar nicht abgebrochen sind, aber bereits große Risse aufweisen. Sie sind dann Kandidaten für zukünftige Expeditionen. Die Ziel-Ausgangsgröße entspricht maximal der Fläche eines Fußballfeldes, wobei die Eisberge noch einmal 90 bis 135 Meter in die Tiefe gehen.
Nur der kleinste Teil eines Eisbergs ist sichtbar, rund 90 Prozent sind im Wasser verborgen. Am besten eignen sich nach Angaben von Polewater sogenannte Tafeleisberge für den Transport, das sind flache Eisberge. Sie sollten zudem nicht wesentlich schwerer als vier Millionen Tonnen sein, sonst besteht ein erhebliches Sicherheitsrisiko, zudem sei der Energieeinsatz so hoch, dass man es als umweltschädlich betrachten könnte.
Zum Ziehen und Schleppen des Eisbergs kommen moderne, leistungsfähige Hochseeschlepper zum Einsatz. Mit Hilfe eines Schleppgeschirrs, das Schneeketten ähnelt, soll der Eisberg angekettet und dann an den Zielort gebracht werden. Geschleppt im eigentlichen Sinne soll der Eisberg nicht werden. Vielmehr sollen Meeresströmungen ausgenutzt werden, um die riesigen Eisschollen auf die richtigen Bahnen zu lenken. Die Schlepperboote haben die Aufgabe, für einen kontrollierten und sicheren Transport zu sorgen.
Was passiert mit dem Eisberg am Zielort?
Ist der Transport des Eisbergs über die Ozeane bereits komplex, wird es am Zielort erst richtig schwierig. Auch wenn der Eisklumpen unterwegs bereits einiges seiner Masse verliert, bleibt er immer noch riesig. Er könnte zum Beispiel unkontrolliert in Richtung Küste treiben und dort auflaufen. Durch die Tiefe würde es zu starken Beschädigungen auf dem Meeresboden kommen. Dazu lösen die Eismassen starke Wellenbewegungen aus, bei dicht besiedelten Küstenabschnitten könnte es zu Gefahren für die Sicherheit der Menschen kommen.
Wichtig ist daher eine sichere Verankerung vor Ort. Polewater hat hierfür eine Zusammenarbeit mit dem IWES Fraunhofer-Institut gestartet, wo es um Forschung und Entwicklung eines umweltfreundlichen Verankerungssystem geht. Generell soll der Eisberg so weit vor der Küste sein endgültiges Ziel finden, dass er keine Gefahr für Schiffe oder Menschen an der Küste darstellt. Der Eisberg ist hier wie eine Bohrinsel oder ein Schiff zu sehen, die ebenfalls gesichert werden müssen.
Nach der Sicherung des Eisbergs geht es im letzten Schritt darum, das Trinkwasser zu gewinnen. Die Gewinnung des Wassers erfolgt hierbei in mehreren Stufen. So bildet sich zum Beispiel auf den Tafeleisbergen mit der Zeit ein See, aus dem sich das Wasser kontinuierlich abpumpen lässt. Zudem werden vom großen Eisberg mit der Zeit kleiner Eisberge abbrechen. Diese sollen aufgesammelt und kontrolliert abgeschmolzen werden.
Hat der Eisberg-Transport eine Zukunft?
Das ist schwierig zu sagen, noch ist außer ausführlichen Planungen nichts konkret umgesetzt worden. Es lässt sich daher schwer darüber urteilen, welche Gefahren von solch einem Eisberg-Transport ausgehen. Es werden dabei doch riesige Massen bewegt, die sich nicht immer so verhalten, wie man es gerne möchte. Sind die Millionen Tonnen Eis erst einmal in Bewegung, kann sie nichts mehr stoppen. Inwieweit Eisberge für ein ökologisches Gleichgewicht im Meerwasser sorgen, ist ebenfalls ungeklärt. Es wird schon etwas mit dem Salzgehalt im Meer tun, wenn man ihm das Süßwasser aus dem schmelzenden Eis vorenthält.
Ein Beitrag von Dominik Hochwarth | Content Manager im VDI Verlag. Nach Studium des Bauingenieurwesens, Ausbildung zum Online-Redakteur, Volontariat und 20 Jahren als Webtexter für eine Internetagentur und einen Online-Shop ist er bei ingenieur.de gelandet. Er schreibt vor allem über Technik und Forschung.